Südtirol 2009/1

„Fangen wir mit einer kleinen Aufwärmrunde an“, meint Reini, „ich bin dieses Jahr noch keinen Kilometer gefahren“. Das sind so die Sätze, mit denen das Elend meist anfängt ;-).

Südtirol 2009

Es ist frisch draußen, aber der blaue Himmel verspricht Besserung der Temperaturen. Wir ziehen Beinlinge und Windjacken an und machen uns auf den Weg zur „kleinen Aufwärmrunde“ … Die fünf Kilometer zum Kalterer See rollen wir immer bergab, passieren das Gewässer am Westufer und biegen dann nach Tramin ab. Jetzt ahne ich schon was kommt. Zielstrebig zieht Reini nach Sölln hinauf. Das Schild, das uns lächerliche 16 % attestiert, gilt nur für die nächsten paar hundert Meter, danach geht es bergauf. Da der Körper nun viel Wärme erzeugen wird, ziehe ich vor dem Berg schon mal die warmen Sachen aus und verstaue sie im Rucksack. Das erste Teilstück, bis zum Haus der Söllner Feuerwehr, geht besser als gedacht. Kurze Verschnaufpause, Müsliriegel und Banane wandern zum Magen. Das nächste Teilstück stemmt sich uns mit 20-26% entgegen, die letzte Kehre wird mit 33 % auf dem GPS angezeigt. Mein Vorderrad will bei jedem Tritt steigen, als ich mich nach vorne beuge, um mehr Gewicht auf die Gabel zu bringen, dreht das Hinterrad auf dem Betonboden durch. Trotzdem bin ich irgendwann oben und kann sogar ohne Pause weiter fahren. Letzten Herbst habe ich an dieser Stelle nach Luft gejapst, wie ein Karpfen auf dem Trockenen. In Altenburg wechselt das Vorzeichen der Steigung von Plus auf Minus (endlich). Ein Stückchen Straße noch, dann wechseln wir auf einen Trail und lassen die Mountainbikes laufen. Noch sind hier keine Fußgänger unterwegs, so dass wir die Strecke etwas forscher nehmen können. Letztes Jahr war ich hier noch auf einem ungefedertem Rad unterwegs, nun habe ich ein Fully und kann die Vorteile der Federung voll ausnutzen – einfach nur geil.

Viel zu schnell sind wir wieder in Kaltern zurück. Bei Björn, unserem Gastgeber, füllen wir die leer getrunkenen Trinkflaschen wieder auf und machen uns dann gleich wieder auf den Weg. Auf einem Radweg strampeln wir zu den Montiggler Seen. Nach dem obligatorischen Blick von einem Aussichtspunkt auf nette Mäd…äh auf die grandiose Bergkulisse nehmen wir einige der zahlreichen Singletrails unter die grobbestollten Räder. Einige der Pfade sind mit Absätzen und Wurzelwerk durchsetzt, so dass wir an einigen Stellen schieben müssen, zumindest bergauf. Bergab lassen sich diese Passagen dank Vollfederung prima meistern – das Rad war eine gute Investition. Nach dem wir auch den Kalterer See umrundet haben, müssen wir noch die 200 Höhenmeter nach Kaltern hinauf überwinden, was uns (ja uns, nicht nur mir!), nach der „kleinen Aufwärmrunde“ sichtlich schwer fällt. Doch die Anstrengungen werden auf dem sonnigen Kalterer Marktplatz mit Cappuccino und leckerem Eis belohnt. Etwas fertig, aber mit einem breiten Grinsen winken wir in die Webcam des Rathauses, ob uns jemand sieht?

Abends sitzen wir mit Björn zusammen und brüten über Radführer und Landkarten. Schlussendlich haben die beiden eine Tour gefunden. „Die beiden“ betone ich deshalb, weil diese Route im Mountainbikeführer mit fünf von fünf Symbolen in den Kategorien Schwierigkeit und Kondition ausgezeichnet ist. Na ja, schlafen wir mal drüber …

Nach dem Frühstück ist die Lage unverändert, das Grauner Joch steht immer noch auf dem Tapet. Also rein in die Klamotten und rauf auf den Berg. Das erste Teilstück ist das gleiche wie gestern, zumindest bis zur Söllner Feuerwehr. Dann lassen wir das 30 % Stück rechts liegen und fahren geradeaus den Berg hinauf. Bisher dachten wir, dass die Altenburg-Steigung die Herausforderung sei, aber hier geht es nicht nur fast ebenso steil hinauf, der Aufstieg scheint auch kein Ende nehmen zu wollen. Wenn man anhält, um die brennenden Schenkel etwas zu erholen, kann man fast nicht mehr anfahren. Es geht nur an den Stellen, an denen der Weg etwas breiter ist und man quer zur Fahrtrichtung anfahren kann. Nass geschwitzt erreichen wir ein Café und wundern uns, weil es laut Führer auf dieser Strecke angeblich keine Versorgungsmöglichkeiten geben soll. Wir nutzen die Gelegenheit und trinken ein gutes Schorrle - Apfel, nicht Wein ;-) – mit Blick auf das tief unter uns liegende Tal. Kurz nach dem wir weiter gefahren sind, finden wir einen Brunnen und füllen dort unsere bereits erschöpften Trinkgefäße auf. Dann strampeln wir stetig bergauf weiter, zum Glück weniger steil aus zu Beginn der Strecke. Der Untergrund hat schon  lange von Teer auf Schotter gewechselt und erleichtert die Tretarbeit nicht gerade, aber so haben wir - oder besser die anderen ;-) es gewollt.

Irgendwann fangen die ersten Schneeflecken an. Zunächst nur kleine Stellen im Schatten, dann aber werden die Stellen größer und blockieren den ganzen Weg. Durch die ersten Schneefelder schieben wir die Räder durch, aber diese werden immer länger. Dann kommt jemand (ich glaube ich selbst ;-)  ) auf die Idee, die schneebedeckten Kehren abzukürzen und die Räder auf der Luftlinie nach oben zum Weg zu bringen. Das „Bringen“ hat dann nichts mehr mit fahren zu tun, von schieben bis tragen und zuletzt auch über den Boden schleifen ist bei dieser Aktion alles dabei. Einige sehr anstrengende Höhenmeter weiter, schieben wir die Drahtesel lieber weiter durch den Schnee. Mittlerweile sind die Füße nass und eiskalt, so dass wir dieses Unternehmen in Frage stellen müssen. Wir stehen nun auf guten 1.600 Metern Höhe und müssen noch auf über 1.800 Meter hinauf. Aber unter diesen Bedingungen ist das kaum möglich. Wir müssen auf der anderen Seite ja auch wieder durch den Schnee runter und dann wird es sicher dunkel werden, bis wir wieder aus dem Berg raus kommen. Wir machen kehrt und bewegen uns wieder nach unten. Bergab schiebt es sich auch viel leichter durch die weiße Pampe. Dabei sammelt das Hinterrad den Schnee, befördert ihn nach oben, wo er am Rahmen abgestreift wird und uns genau in die Hacken fällt. Das macht aber fast nichts aus, nasser als nass und kälter als kalt wird dadurch auch nicht mehr.

Als die Schneefelder endlich nachlassen, können wir wenigstens wieder fahren. Der Abstieg geht bei der Steilheit rasch voran und wir erreichen den Asphalt in tieferen Lagen. Hier ist es endlich wieder warm. Wir ziehen Schuhe und Strümpfe aus, wärmen die eiskalten Mauken auf dem warmen Teer und versuchen die Fußbekleidung so gut wie möglich zu trocknen. Nach einiger Zeit sind die Füße wieder warm, aber Schuhe und Strümpfe natürlich immer noch pitschnass. Mit feuchten Füßen fahren wir weiter Richtung Tramin, jedoch biegen wir vorher nach Altenburg ab - der werte Leser möge sich an die >30 % erinnern, die wir uns zum Abschluss auch noch geben. Aber nach dem Bergauf kommt auch wieder ein Bergab. Der Trail nach Kaltern ist uns von gestern noch in guter Erinnerung. Diesmal müssen wir jedoch langsam machen, denn viele Spaziergänger sind auf dem Weg unterwegs. Das wir in Kaltern natürlich wieder unseren Lieblings-Eisladen (Konditorei Innerhofer) entern ist klar. Die anderen Cafés haben zwar sehr attraktive tschechische Bedienungen an der Eistheke stehen, doch bei Margret und Alexander schmeckt das Eis wirklich soviel besser, dass wir gerne auf den Hormonschub verzichten ;-).

Nach der gestrigen anstrengenden Tour, wollen wir die Sache heute etwas gelassener angehen. Ein paar Singletrails an den Montiggler Seen sollen reichen. Björn führt uns an und zeigt uns einige seiner Hausstrecken. „Leider“ sind auch einige schlammige Passagen dabei, so dass die heute Morgen frisch angezogene Montur sich nicht lange von den gestrigen Klamotten unterscheidet. Wir meistern einige heikle Downhills, quälen uns über Wurzeln wieder nach oben und finden noch einen schönen Singletrail, der so schmal ist, dass wir an manchen Stellen besser schieben, um nicht in den Abgrund zu stürzen. Nach dem wir uns verausgabt haben, fahren wir nach Eppan zu den Eislöchern. Anders als im vorigen Herbst, sollte diesmal noch Eis zu finden sein. Das Schöne sind natürlich nicht nur die Felslöcher, sondern auch die Anfahrt durch winkliges Geläuf im dichten Wald.

Zum Abschluss will uns Björn noch über den Kalterer Höhenweg zurück Nachhause führen. Dazu müssen wir zwei, drei Kilometer Richtung Mendelpass hinauf fahren. Als wir den Abzweig zum Höhenweg erreichen, frage ich die anderen, ob wir nicht ganz zum Mendelpass hinauf fahren wollen – warum nur komme ich immer auf so blöde Ideen? Reini und Björn stimmen sofort zu. Reini wollte ja schon letztes Jahr hinauf und weinte mir im Auto vor, wie gerne er hochgefahren wäre. Also ab geht’s, nein aufi geht’s, es sind ab hier ja nur noch 1.000 Höhenmeter und ca. 12 Kilometer Strecke …

Zum Glück ist der Pass nicht so steil, so dass unsere schon etwas geschwächten Beine nicht allzu sehr gequält werden. Wir werden zwar ständig von Rennradfahrern überholt, aber gönnen wir ihnen ihren schnelleren Aufstieg. Auf den letzten zwei oder drei Kilometern sind viele Kehren zu überwinden. Björn meint noch, dass die letzten Höhenmeter rasch überwunden seien und sich nicht so ziehen wie das untere Stück. Klar, dafür ist es auch steiler ;-). Als wir endlich oben sind, ruhen wir uns bei einer Brotzeit in einem Café aus. Trotz der Glasscheiben, die den Wind abfangen sollen, wird uns jedoch schon bald recht kalt. Wir zahlen, ziehen uns unsere Windjacken an und stürzen uns in die Tiefe. Bis etwa 1.000 Meter Höhe fahren wir im Schatten den Berges und frieren. Dann erreichen wir die sonnenbestrahlte Seite und es wird endlich wärmer.

Jetzt noch rauf auf den Kalterer Höhenweg und – wieder berauf strampeln. Zum Glück ist es nur eine leichte Steigung, aber mit bereits 1.500 Höhenmeter in den Beinen schmerzt es schon etwas. Endlich erreichen wir die Stelle, an der wir auf einem Singletrail nach Kaltern hinab fahren können. Ein paar umgestürzte Bäume stemmen sich uns in den Weg, verzögern unseren Abwärtsdrang aber nur kurz. Wegen meinem Heuschnupfen sehe ich momentan nur etwas verschwommen, was das Treffen der Spur nicht gerade erleichtert, aber ich komme ohne Sturz unten an. [Gebetsmühle]Eis essen in Kaltern[\Gebetsmühle].

Unser letzter Tag, oder besser Vormittag, in Südtirol. Heute Morgen wollen wir wirklich nur noch leicht ausrollen und am Nachmittag Richtung Heimat fahren. Björn hat eine nette flache Runde von ca. 40 Kilometern parat, es geht rund um die Berge zwischen Kaltern und Pfatten. Zunächst rollen wir wieder zum Kalterer See hinunter, diesmal auf der Ostseite. Von wegen flache Runde, die 200 Höhenmeter müssen wir nachher wieder nach Kaltern hinauf ;-). Nach ein paar hundert Metern auf einer Landstraße, biegen wir auf einen Radweg ab und folgen dem Fluss Etsch flussaufwärts Richtung Bozen. Mit unseren Mountainbikes fühlen wir uns auf dem glatten Teerbelag etwas fehl am Platze, aber dank ordentlichem Druck in den Reifen, den wir heute Morgen noch eingefüllt haben, rollen die Bikes ganz prima dahin. Zwischen Bozen und Kaltern fahren wir auf der alten Eisenbahnstrecke. Die Schienen wurden natürlich entfernt und ein geteerter Wander-/Radweg angelegt. Wir passieren zwei dunkle Tunnel und arbeiten uns, notwendiger Weise bergauf, wieder auf Kaltern zu. Meine Beine fühlen sich ausgelaugt und schwer an. Das Einzige was mich jetzt noch vorwärts treibt, ist die Aussicht auf Cappuccino und Eis, aber das konnte sich jetzt sicher jeder denken …