Tennenbronn 2008/2: Das Geriatrierium schlägt zurück

Morgens 08:00 Uhr am Vogelbräu in Ettlingen. Nein, der Vogel hat noch zu und ich will auch nicht „bierstücken“. Hier ist der Treffpunkt für zumindest zwei Leute unseres Tennenbronn-Radler-Quartetts. Kurze Zeit später kommt Reinhard an, gemeinsam fahren wir einige Straßenzüge weiter zu Jochen. Jochen, das ist der 15-jährige Bursche, der uns letztes Jahr auf der Rückfahrt von Tennenbronn in Grund und Boden gefahren hatte – ok, zumindest mich ;-). Die Eltern übergeben die Erziehungsgewalt an Reinhard (ob da nicht der Bock zum Gärtner gemacht wurde), nicht ohne durchblicken zu lassen, dass Jochen keinen Alkohol mag. Aha, so kann man das auch formulieren ;-). Doch wir sind ja Sportler, Rauchen nicht, trinken keinen Alk und nach Frauen drehen wir uns nicht mal um. OK, in diesem Satz sind zwei kleine Unwahrheiten versteckt, aber welche?

Nächster Stopp Muggensturm. Hier steigt Christian zu und damit er uns nicht verpasst, wird er von seiner Freundin bis zur Straße begleitet. Hm, wahrscheinlich will sie sicher gehen, dass er auch wirklich weg ist ;-). Der Größe und vor allen Dingen der Schwere von Christians Rucksack nach, rechnet er  mit einigen Monaten Fahrdauer.

Über Gaggenau strampeln wir nach Forbach hoch. Jochen, schon wieder übermütig und ausgestattet mit einem neuen Fahrrad - diesmal hat er sogar Luft im Hinterreifen – will einfach nicht wahr haben, dass er mit alten Säc…äh…Männern unterwegs ist und ist kaum zu bremsen. Nach ca. 15 Kilometern greift er das erste Mal nach seiner Trinkflasche. Ja, jetzt ist er am Boden, gleich bricht er zusammen, nun geht es endlich in gemächlichem Tempo weiter. Doch leider weit gefehlt. Unbeirrt drehen sich seine Pedale im Kreis. Nun gut. Dann lassen wir uns etwas anderes einfallen – später ...

Am Bahnhof in Forbach legen wir eine kurze Rast ein. Der Wirt bringt Schorle (natürlich Apfel- nicht Weinschorle) und Fanta für den Kurzen. Reinhard packt Butterbrezel für alle aus. Nach der Stärkung (in Wahrheit wollte Reini nur Gewicht aus seinem Rucksack loswerden) geht es auf den Murgtal-Radweg. Natürlich schwimmen wir wieder mal gegen den Strom, wir sind die einzigen die hinauf fahren, alle anderen fahren mit der Bahn bis Baiersbronn und lassen sich dann bergab ins Tal rollen. Zumindest der weibliche Gegenverkehr ist von uns begeistert und jubelt uns zu - oder war das eher auspfeifen? Wie dem auch sei, damit es Jochen nicht zu wohl wird, muss er uns den Berg hinauf ziehen. Doch das scheint ihm nichts auszumachen, er wird kaum langsamer und unsere Arme schmerzen vom festhalten …

Jochen muss uns den Berg hinauf ziehen

Jochen muss uns den Berg hinauf ziehen

Endlich erreichen wir Baiersbronn. Warum endlich? Nichts endet hier, weder der Berg, noch die Anstrengung (noch Jochens Kraft). Neue Taktik, jetzt lassen wir ihn austrocknen. Du hast nichts mehr zu trinken? Pech, erst in Freudenstadt gibt’s wieder was (vielleicht), die paar Meter schaffst du schon noch. Einige Anstrengungen später erreichen wir den Ortsrand von Freudenstadt. Nun liegt noch ein Fünfzehnprozenter zwischen uns und der Getränkequelle. Wir „Alten“ laufen mittlerweile auch schon lange trocken. Der Körper schwitzt (kaum zu glauben, dass da noch irgendwo Feuchtigkeit zum Rauspressen ist), die Beine brennen, doch wir müssen rauf. Dann die Erlösung aus der quälenden Dürre. Die ariden Kehlen werden bewässert und die Trinkflaschen nachgefüllt. Müsliriegel wandern in die Bäuche und die üblichen Sprüche machen die Runde, warum man sich so etwas freiwillig antut ;-).

Ein Berg liegt nun noch vor uns, dann geht es endlich wieder bergab. Jetzt bekommt Jochen alle Rucksäcke aufgeladen, damit er uns nicht davon fährt. Der Junge muss doch zu bremsen sein.

Die neue Bremsidee, Jochen muss unser ganzes Gepäck schleppen

Die neue Bremsidee, Jochen muss unser ganzes Gepäck schleppen

Fleißig strampeln wir die Straße hinauf. Zum Glück ist der Anstieg nur halb so schlimm. Dafür hat es die Abfahrt in sich. Statt Teer haben wir nun Schotter und Waldboden unter den Rädern. Der Untergrund ist wegen dem Regen der letzten Tage feucht und etwas schmierig. Schneller als ca. 50 km/h wollen wir da gar nicht runter. Dreck spritzt hoch, besudelt uns von oben bis unten. Kurze Rast am Kleinen Kinzig Stausee. Wir schauen uns an und müssen lachen, wir haben alle dicke „Sommersprossen“ im Gesicht. Vielleicht ist Waldboden ja gut für die Haut ;-).

Die Straße nach Schenkenzell führt zwar immer bergab, aber der Gegenwind ist so stark, dass wir trotzdem kräftig strampeln müssen. Ich weiß nicht, woher Reinhard die Kraft nimmt. Schon ab Ettlingen fährt er fast immer vorne und gibt uns anderen Windschatten. Bei der Einfahrt nach Schiltach will eine Autofahrerin, ohne Blinkzeichen, einfach rechts auf einen Parkplatz abbiegen und schneidet uns. Wir gehen alle in die Eisen und Reinhard schreit eine Warnung. Die Dame legt eine Vollbremsung hin, ihre ca. 10-jährige Tochter fliegt dadurch mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett, weil sie nicht angeschnallt ist. Die Fahrerin selbst hat nicht besseres zu tun, als aus dem Auto zu brüllen, „… mecker, mecker … kann doch mal passieren …!“ Was kann passieren? Das sie ihre Tochter gefährdet? Das sie ein paar Radfahrer umnietet?

In Schiltach genehmigen wir uns das übliche Eis im üblichen Cafè. Nicht nur auf den Schreck, sondern sowieso. Als wir wieder weiter wollen, schmerzen beim Aufstehen die Beine. Eigentlich sollten wir lieber noch sitzen bleiben, bis heute Abend, oder bis morgen, oder … überhaupt. Doch so kurz vor dem Ziel, es sind keine 20 Kilometer mehr, wollen wir auch nicht schwächeln. Also rauf auf die Drahtesel und in die Pedale getreten. Bis Schramberg rollen wir halbwegs ordentlich dahin. Reinhard, der die ganze Zeit das Tempo gemacht und uns Windschatten gegeben hatte, ist fast am Ende seiner Kräfte. Gemeinsam rollen wir den anderen beiden hinterher, die nun die Front bilden. Hinter Schramberg beginnt dann das schlimmste Stück. Ausgelaugt quälen wir uns durch das Tal der Schiltach. Es geht immer leicht bergauf und in den Kurven bläst uns ein starker Wind entgegen. Reinhard mobilisiert die letzten Kräfte und zieht davon. Christian hechtet hinterher. Ich wähle die mir bequemste Trittfrequenz und fahre so vor mich hin. Doch wo ist Jochen? Plötzlich meldet sich eine abgekämpfte Stimme hinter meinem Rücken. „Wie weit ist es noch?“ „Ungefähr 7 Kilometer“, antworte ich. „Und geht die Straße immer so weiter?“, keucht es hinter mir. „Ja, erst kurz vor Tennenbronn wird es etwas flacher!“ Jaaaa! Jetzt haben wir das Bürschchen geknackt, triumphiere ich innerlich. Endlich weiß er, wie wir uns fühlen, wenn er voraus fährt und uns eine lange Nase zeigt ;-).

Erschöpft, aber glücklich und eine gute halbe Stunde früher als geplant, kommen wir bei Reinhards Elternhaus an. Der Kaffeetisch ist schon gedeckt, der Heidelbeerkuchen ist sogar noch warm vom Backen. Hungrig wie die Wölfe stürzen wir uns auf den Kuchen, schöpfen noch Sahne oben drauf und schlingen das Backwerk gierig hinunter.

Das ist Jochen's Teller ;-)

Das ist Jochen's Teller ;-)

Müde vom Fahren und vom Essen rollen wir dann die 200 Meter zur Wohnung von Reinhards Bruder, der gerade im Urlaub ist. Dort können wir uns breit machen und duschen. Nach dem wir sauber sind und wieder gut riechen, setzen wir uns gemütlich auf die Terrasse und entspannen. Dabei planen wir das Abendessen, das Reinhards Eltern gerade vorbereiten. Einige Zeit später laufen wir zum Haus hinauf. Wiederum ist der Tisch gedeckt. Es gibt leckere Salate aus dem eigenen Garten und Putensteaks.

Nach dem reichlichen Essen spielen Jochen und Reinhard Tischfussball. Christian und ich besichtigen die Kapelle, die Reinhards Vater gebaut hat. Besonders Christian ist sehr an dem Kirchlein interessiert. Danach schließen wir das Gotteshaus ab, gehen zum Haus zurück und schauen den anderen beiden beim Spielen zu. Nach dem Jochen zwei Niederlagen einfahren musste, spielen wir nun zwei gegen zwei. Reinhard und ich, gegen Jochen und Christian. Obwohl ich eine absolute Niete beim Tischfussball bin, gewinnen wir haushoch. Noch mal zum Mitschreiben: HAUSHOCH! Höhöhö ;-)

Wir frühstücken bei Reinhards Eltern, füllen unsere Wasserflaschen auf und machen uns abfahrtsbereit. Vorher machen wir aber noch einen Dopingtest bei Jochen. Wenn sich die Zunge blau verfärbt, hat er unerlaubte Mittel genommen -> Siehe Bild ;-)

Beim Dopingtest durchgefallen ;-)

Beim Dopingtest durchgefallen ;-)

Nun geht es erst mal wieder bergauf, bis zur Spitze des 926 Meter hohen Windkapf. Das war (hoffentlich) die härteste Arbeit für heute und jetzt folgt eine laaaange Abfahrt bis nach Hornberg hinunter. Vorher ziehen wir noch schnell die Windjacken über, damit die vom Berg erhitzten Körper nicht so stark auskühlen. Dann steigen wir in die Eisen und los geht’s. Strampeln bis nichts mehr in Vortrieb umgesetzt werden kann, dann flach machen, um den Luftwiderstand zu verringern. Vom langen Flachliegen auf dem Rad tun mir schon bald die Handgelenke weh, doch da muss ich jetzt durch. Zumindest beim Bergabfahren will ich mal erster sein ;-). Mein letzter „Geschwindigkeits-Rekord“ an diesem Berg lag bei 78 km/h, diesmal (mit Jochen im Rücken) schaffe ich lt. GPS 80,9 km/h. In Hornberg schälen wir uns wieder aus den Jacken und düsen weiter. Zunächst geht es weiter bergab, aber langsam wird die Strecke immer ebener. Reinhard düst wieder vorneweg und wir haben ständig zwischen 32 und 35 km/h auf der Uhr, mit Gepäck!

In Gengenbach machen wir wieder die obligatorische Eispause. Da das Eis anscheinend nicht ausreicht, schiebt sich Jochen gleich noch zwei Bananen hinterher – was hat er vor? Die weitere Etappe ist nicht besonders schön, aber man kommt gut vorwärts. Ungefähr 50 km weiter, in Bühl, legen wir eine weitere Pause ein. Diesmal gibt es Kuchen und Bionade zur Stärkung. Die letzten Kilometer vergehen dann wie im Flug. Allerdings tun meine „Flügel“ ganz schön weh, weil die vorne wieder am ochsen sind, das der Überschallknall nicht mehr fern sein kann. Dann erreichen wir (endlich) Ettlingen. Bevor wir zum Vogel-Bräu weiter radeln, bringen wir noch Jochen heim, er mag ja eh keinen Alkohol ;-). Nach einem Radler (was sonst), fährt jeder in seine Richtung. Ich hab natürlich wieder die A****karte gezogen, denn ich muss noch nach Busenbach hinaufradeln. Die letzte Steigung zehrt an meinen Beinen, dann hab auch ich es endlich geschafft. Die Tennenbronn-Tour liegt hinter mir. Aber nach Tennenbronn ist immer vor Tennenbronn …

An dieser Stelle einen Riesendank an Papa und Mama Moosmann, für ihre liebevolle, reichhaltige, wohlschmeckende, fürsorgliche und nie endende Gastfreundschaft. Das ist der wahre Grund, warum wir immer wieder gerne nach Tennenbronn fahren - das Radfahren ist nur der mühsame Weg zum Ziel!